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2. Etappe Alpentour 2008
Sonntag, 10. August
Annecy - Séez (Bourg-St-Maurice) 109 km, 2840 Hm, 5:17 h Fahrtzeit ,Schnitt: 19,86 km/h
Text: Lüder Schierholz
Fotos: Armin Huber

Jugendherberge Annecy, 07.15 Uhr. Noch halb im Schlaf war mein erster Gedanke: Wie ist das Wetter?
Gibt es Regen? Oder Hitze? Wie sind die Beine nach der ersten Etappe?
Nach etwas unruhiger Nacht im Viererzimmer der Jugendherberge von Annecy begann langsam der zweite Tag der Alpentour.

Nach und nach wachten auch Karen, Klaus und Lukas auf und es setzte sich eine Handlungskette in Gang, die sich während der nächsten 7 Tage stets wiederholen und unser morgendliches Denken bestimmen sollte: Auf engem Raum musste im ebenso spärlichen wie unübersichtlichen Gepäck die richtige Klamottenkombination für den ersten Etappenabschnitt gefunden werden.
Regenjacke oder Weste? Oder doch nur „kurz“ und Sonnencreme?
Dann, ganz wichtig, den vorbereiteten Spickzettel mit den Streckeninformationen einstecken, um während des Frühstücks die später anstehenden Pässe studieren zu können.

Heute sollte es zumindest nominell noch nicht in die Vollen gehen. Es war noch keine Horst-Catégorie vorgesehen.
L´Iseran, Galibier & Co. standen erst in den nächsten Tagen an.
Dennoch, mit dem Col de Forclaz, dem Col du Pré und dem Cormet de Roselend beinhaltete der heutige Marschplan drei Bergwertungen und irritierenderweise war unter www.quael-dich.de bezüglich des Col du Pré zu lesen: „Dieser Pass ist kein Zwerg!“

Ob es diese unverhohlene Drohung war, die Andreas dazu bewog, sich am Vortag noch schnell einen neuen Laufradsatz einbauen zu lassen? Wir erfuhren es nicht – aber der Glaube an gutes Material versetzt ja gerade im Radsport die sprichwörtlichen Berge!

In süd-östicher Richtung verließen wir Annecy und Armins Routenplanung führte uns auf einer alten Eisenbahntrasse entlang des See schnell in Richtung des ersten Anstiegs. Die Gruppe fuhr Expresstempo und kam flott voran, musste aber immer wieder mit dem Zieharmonika-Effekt kämpfen, wenn Barriereschranken zu passieren waren.


Radweg auf einer ehemaligen Bahnlinie

Radweg mit dem Lac de Annecy


Rund 40 km und eine Bekanntschaft mit einem radelnden französischen Ehepaar später verließen wir die D 1212 und erkletterten den Col de la Forclaz auf 880 Metern Seehöhe, wo Andreas und Steffen bereits mit dem Motorhauben-Buffet auf uns warteten.
Das Wetter hielt und frisch gestärkt gingen wir alsbald in die Abfahrt hinunter nach Queige.
Die etwas unspektaluräre Fahrt entlang des Doron bis nach Beaufort wurde durch den anschließenden tollen Anstieg zum Col du Pré mehr als wettgemacht.

Irgendwann im unteren Drittel des rund 1.000 Höhenmeter währenden Anstiegs gab Armin das Zeichen zur „Freien Fahrt“. Was das bedeutete, wurde schnell deutlich: Rennen für die Schnellen, ruhiges Pedalieren für die Langsameren.
Stetig ging es durch die schönen savoyer Dörfer und die grünen Almenlandschaften hinauf zur Passhöhe auf 1748 Metern.
Und auch hier warteten bereits die Begleitfahrzeuge mit der Verpflegung.


Die gesamte Alpentourgruppe auf dem Col du Pre mit dem Montblanc im Hintergrund


Dank hervorragender Verpflegung am Col de la Forclaz haben wir es auf den Col du Pre geschafft

Etwas unterhalb des Col du Pre eröffnet sich der herrliche Blick auf den Barrage de Roselend (Stausee) mit dem Montblanc darüber

Das obligatorische Gruppenbild am Pass wurde vor dem Panorama des ganz nah erscheinenden Mont Blanc geschossen und ungeduldig stiegen die ersten wieder in den Sattel und fuhren ab.
Doch weit kam man nicht.
Denn wenige Meter unterhalb der Passhöhe eröffnete sich ein traumhafter Blick auf den blau-türkis schimmernden Roselend-Stausee, der eingebettet in grüne Almen und umrahmt von steilen Felsmassiven einen der optischen Höhepunkte der gesamten Reise darstellte.
Keine Frage, hier ging Foto vor Abfahrt, also wieder bremsen!
Nach einiger Zeit sammelte man sich auf der Staumauer, wo Heiner dann praktischerweise einen Platten feststellte.
Nochmals Pause!
Aber irgendwann ging es dann doch weiter, es wartete schließlich noch der letzte und mit 1968 hm höchste Pass der heutigen Etappe, der rund 400 Meter höher gelegene Cormet de Roselend.
Schon während der Spazierfahrt entlang der Staumauer war das letzte Stück Kletterarbeit gut einzusehen. Auf langgezogenen Serpentinen schraubte sich die Straße zu Füßen einer mächtigen, gezackten Felsbarriere in die Höhe. Im Anstieg selber wanderte der Blick abwechselnd zurück zum schnell kleiner werdenden Stausee und hinauf zu den steil aufragenden Felszacken – ein schlicht unbeschreibliches Panorama, das die Prozentzahlen des Anstiegs verblassen ließ.

Zu viel auf die Landschaft und zu wenig auf den Verkehr geachtet hatte offenbar auch ein entgegenkommender Motorradfahrer.
Der Fahrer war offenbar bereits medizinisch versorgt, aber seine an der Gabel heftig deformierte Motor-Nervensäge lag verstummt im Gegenverkehr. Der entstandene Stau und der bereits eingetroffene Abschleppwagen wirkten in der Höhe und vor diesem Panorama fast schon surreal.
Wir schlängelten uns durch die wartenden Motor-Alpinisten und fuhren weiter.

Irgendwann durchbrach dann die Straße den Felsriegel und es eröffnete sich vor uns ein weites Hochtal.
Die Steigung flachte ab und weiter ging es die letzten Kilometer zur Passhöhe. Da es wegen des Windes ziemlich kalt war, wurde schnell das Passfoto geschossen und dann hieß es: Unterlenker und Kette rechts!
Es begann eine atemberaubende Abfahrt, die im oberen Teil wegen heftiger Windböen unsere ganze Konzentration erforderte.
Weiter unten, auf pizzamäßig geflicktem Asphaltbelag, waren dann die Steuer- und Bremskünste gefragt – keine Pannen, nur wenige nervende Autos - einfach super!


Auf der Passhöhe des Cormet de Roselend

Extratour nach Arcs 2000, im Hintergrund Montblanc und Grandes Jorasses



Schnell waren die 1.100 Höhenmeter radiert und nach und nach sammelten wir uns am Verkehrskreisel in Séez.
Die letzten 3 Kilometer radelten wir dann in der Gruppe zur außerhalb liegenden Jugendherberge direkt an der Isère.

Da es erst 16.00 Uhr war und die Jugendherberge erst um 17.00 Uhr wieder besetzt war, hatten wir auf einmal so etwas wie Freizeit. Während sich manche vor die Juhe legten und Armin und Steffen weitere Höhenmeter sammelten, knüpften Lukas, Karen, Klaus und ich an die alte Tradition des Maukens an und stiegen zum Erfrischen in die eiskalte (!) Isère.

Nach einem leckeren Abendessen im gemütlichen Aufenthaltsraum der Juhe spielten wir noch ein bisschen Billard.
Tja und dann war der zweite Etappentag auch schon zu Ende!