WappenRVPfeilKlein

 

3. Etappe Alpentour 2009

Montag, 24. August
Montreux – Sion: 97 km / 2000 Hm
Text: Tobias und Rebecca Ziegler
Fotos: Tobias, Martin, Thomas und Horst

Trotz vergleichsweise wenig Höhenmetern (2300) sollte der dritte Tag für die Gruppe eine echte Herausforderung werden. Dafür gab es mehrere Gründe: Zunächst konnte von Regeneration angesichts von in 30-Minuten-Häppchen zerteilten Kurz-Schlafphasen keine Rede sein. Denn etwa in diesem Takt fuhren die Züge der Schweizer Eisenbahn in ca. 10 Meter Entfernung unmittelbar vor dem Fenster unserer – direkt am Genfer See gelegenen – Juhe in Montreux die ganze Nacht über vorbei. Dann entpuppte sich der wegen seiner mangelnden Bekanntheit vielfach unterschätzte Wald- und Wiesen-Pass Col de la Croix (1779 m) als wahrer Prüfstein. Erstens wegen der vom Genfer See aus zu bewältigenden 1300 Höhenmeter, zweitens wegen der Hitze an diesem Sonnenterrassenhang über dem Rhonetal und drittens wegen der hohen Anforderungen an das Orientierungsvermögen. Denn der so „kleine“ Pass war auch an mehreren Abzweigungen am Hang eher unscheinbar ausgeschildert. So kam es, dass einzelne Fahrer auf einigen Sackgassen-Stichsträßchen noch ein paar zusätzliche Höhenmeter sammelten, ehe sie ihren Irrtum bemerkten. Dennoch wurde der Col de la Croix schließlich von allen mit Bravour bewältigt und die schönen Tiefblicke übers Rhonetal bis zum Mont Blanc entschädigten für manche Mühen.


Col de la Croix, ein wahrer Prüfstein.
Georg in Siegerpose

Noch 800 schweißfreie Hm bis zum
Col du Sanetsch

Die Begleitfahrer der heutigen Etappe hatten freilich eine ganz andere Herausforderung logistischer Art zu bewältigen. Denn die Tatsache, dass der Weg nach Sion von den Autos nicht auf der Radroute über drei Pässe, sondern übers Rhonetal genommen werden musste, eröffnete ebenso interessante wie für manche verwirrende Möglichkeiten, wie die Fahrerwechsel bei der heutigen Etappe zu gestalten wären. Nach langen Diskussionen am Vorabend hatte man schließlich eine gute Lösung gefunden, bei der alle vier Fahrer Heinrich, Horst, Jens und Matthias auf Ihr Passvergnügen kamen. Den besten Deal machte dabei Heiner: als Belohnung dafür, dass er heute alleine den Einkauf und die Verpflegung am Col de la Croix übernahm, durfte er beim zweiten Teil der Etappe 2700 Höhenmeter Abfahrt bei nur 600 Höhenmetern Anstieg genießen. – Wie so etwas geht? Nun, die ganze Gruppe gönnte sich heute den Luxus, nach einem kurzen kleinen Passanstieg zum Col du Pillon (1546m) den letzten Pass des Tages überwiegend mit der Seilbahn zu erklimmen. Da die Straße auf der Nordseite des Col du Sanetsch geschottert und allenfalls für MTBs passierbar ist, überwanden wir die ersten 800 Höhenmeter von Gsteig aus mit der Kabinenbahn, an deren Außenwand die Rennräder am Vorderrad freischwebend über dem Abgrund aufgehängt wurden. Das Bangen, ob denn nun der Schnellspanner auch fest genug geschlossen war, ließ manchen während der 10-minütigen Auffahrt jedoch mehr Schweißtropfen vergießen als bei einem Aufstieg per Rad.


Am Sanetsch-Stausee


Verpflegungspause im Bergkaffee

Oben angekommen galt es nach einer kurzen Schiebepassage über die Almweide dann immerhin noch 200 Höhenmeter auf asphaltierter Straße vom Sanetsch-Stausee bis zur Passhöhe am Fuße des Gletschers zu überwinden. Dies gab einem das Gefühl, dennoch einen Pass bezwungen zu haben, wozu auch der tolle Panoramablick auf die Walliser Viertausender im Süden beitrug, deren Namen Martin den Interessierten kundig zu erklären vermochte.
Da sich die Abfahrt über 1700 Höhenmeter auf dem spektakulären schmalen Sträßchen angesichts vieler schöner Aussichtspunkte, einem langen Tunnel und vielen Serpentinen fast so lange hinzog wie ein Passaufstieg, wurde für die Mitte der Abfahrt eine „Verpflegungspause“ verabredet. Mangels Begleitfahrzeugen musste dafür ein Bergcafé aufgesucht werden, von denen es entlang der Straße viele gab. Mit der Auswahl wurde Becky, einzige Frau in der Gruppe, beauftragt. Ihr fiel dann auch die Aufgabe zu, die im Minutenabstand eintröpfelnden Fahrer durch heftiges Winken am Straßenrand zum rechtzeitigen Abbremsen vor dem Einkehrschwung zu bewegen. Ein Schauspiel, das die anderen Cafégäste amüsiert verfolgten. Als dann alle an einem Tisch im Schatten vor dem Café versammelt waren, schlossen sich weitere lange Minuten des Wartens an. Denn die En-Gros-Bestellung von knapp zehn Kaffees bedeutete für die beiden 70-jährigen Damen, die das urige Café betreiben, eine echte Herausforderung. Doch spätestens als der Kaffee dann nach geschätzten 20 Minuten charmant serviert wurde und als Gratis-Zugabe noch die letzten zwei Stückchen Apfelkuchen mit Vanilleeis auf dem Tisch landeten, waren alle glücklich und zufrieden.

 


Die Abfahrten ins Rhonetal waren sehr reizvoll, viele Fotostops wurden eingelegt

Bergwertung per pedes auf den Valeria-Kirchenhügel

Nach rasender Abfahrt durch die Weinberge empfing uns Sion im Rhonetal mit großer Hitze. Noch heißer wurde es uns jedoch beim Abendessen in der Juhe. Denn die Hoffnung, die Suppe möge einen Beitrag zum Ausgleich des Flüssigkeitsverlustes des Tages liefern, wurde enttäuscht. Dem Koch war nämlich offensichtlich der Pfefferstreuer in die Suppe gefallen. So bescherte ihr Genuss manchem mehr Schweißtropfen auf der Stirn als alle Anstiege des Tages. Doch wenigstens kompensierten dann Hähnchen, Ratatouille und Spaghetti – nicht zuletzt wegen der nicht von allen geschätzten kräftigen Butterzugabe –mehr als reichlich den Kalorienverlust.
Um von den – angesichts fehlender Aufstiegshöhenmeter – nun fast zuviel zugeführten Kalorien gleich noch einige loszuwerden, wurde gegen den anfänglichen Widerstand einzelner noch eine zusätzlich abendliche Bergwertung auf dem Valeria-Kirchenhügel von Sion angesetzt, die freilich per pedes zu bewältigen war. Eine tolle Aussicht sowie ein kühles Bier in der schönen Altstadt von Sion entschädigten dann jedoch für den in der schwülen Abendluft vergossenen Schweiß.
So fielen schließlich alle erschöpft und zufrieden in ihre Betten. Doch die Hoffnung, das Schlafdefizit der vergangenen Nacht aufzuholen, wurde jäh enttäuscht. Denn es stellte sich heraus, dass die Juhe nicht nur unmittelbar an der Bahnlinie lag (was für Schweizer Juhes typisch zu sein scheint), sondern obendrein auch noch in der Einflugschneise des Flughafens von Sion… Die Hoffnung auf einen ruhigen Schlaf musste also vertagt werden.