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Belchen satt Ingbert Rahmenschild
Super-Randonnée Belchen satt (mit Arbeitsgerät aus traditionellem CrMo-Stahl)
Ingbert macht das halbe Dutzend der erfolgreichen Finisher 2015 des RV Pfeil komplett und berichtet von den Abenteuern durch Schwarzwald, Jura und Vogesen.
(Nach wochenlanger Sperrung jetzt wieder mit der beliebten Schiebestrecke La Goule)

La Goule! Der landschaftliche Höhepunkt der Tour Belchen Satt. Lange haben wir diesem Highlight entgegen gefiebert. Schon am Vorabend, bei der Lagebesprechung mit Urban und Walter im Augustiner. Die Streckensperrung sollte doch nur bis Ende Juni dauern. Ob die Durchfahrt wohl schon wieder frei ist? Walter hatte extra in Le Noirmont angerufen: Akkurat heute sollte sie geteert werden (richtig). Dann ist die Brücke hoffentlich nicht mehr gesperrt (falsch) oder zumindest die Sperrung leichter umgehbar als bisher (richtig). Schön soll sie sein, sehr schön, einer der schönsten, wenn nicht gar wirklich der schönste Anstieg der Tour. Ein Sturzflug hinab in die dunkle und schattige Schlucht der Doubs, aus den Höhen des Jura hinunter zum hier noch schmalen Fluss, den wir von dem vor kurzem gefahrenen 600km Brevet zur Genüge kennen. Ein kleiner Ort, ach was, drei, vier Häuser nur, eine Auberge auf Schweizer und eine kleine Kapelle auf französischer Seite, um einen Gebirgsbach herum drapiert. Danach schwinge man sich, wie ein Adler, oder war es der Phönix, wieder aus den Tiefen der Schlucht empor. Der Jura sei danach endgültig überwunden, es folge nur noch ein Transferstück zu den Vogesen, die ja bekanntlich im Vergleich zum Jura, brevettechnisch gesehen, nur noch ein Kinderspiel sind.

Ich aber fliege nicht, fahre nicht mal, ich schiebe! Ob es die Hitze (knapp unter 40°C tagsüber) war? Die bisher absolvierten Höhenmeter oder Kilometer? Die lange Nacht, die wir komplett durchgeradelt sind? Oder ist der Buckel mit seinen 19% über 400 Hm doch einfach nur hammerhart? Mir wird auf einen Schlag klar, wieso Walter sich gestern Abend noch nach meinem Schuhmodel erkundigt hat.

Letztes Jahr, bei meinem Erstversuch dieses Superrandonnée zu fahren, war ich gescheitert. Damals noch viel früher, schon in der ersten Nacht, an den ersten Anstiegen des Juras. Jetzt weiß ich zumindest, was ich verpasst hatte: unter anderem den namenlosen dreifachen 20- Prozenter hinter Läufelfingen, der wegen seiner unkreativen Streckenführung (straight up) bei manchen Radfahrern Lachanfälle produzieren kann. Oder den Weissensteinpass auf seiner Nordrampe, die auch Quäldich empfiehlt, schließlich sei die Südrampe nun wirklich unfahrbar. Heute zeigt mein Navi wegen ein paar weiteren Bergen, Rampen und Hügeln aus dem Schwarzwald und Jura immerhin mittlerweile schon gut 7000 Höhenmeter an.
Belchen satt Ingbert Boelchen
Tagesanfang vor dem Bölchenhaus

Belchen satt Ingbert Chasseral
Chasseral. 17h Fahrt. Volle Konzentration auf den aktuellen Streckenabschnitt

Aufgeben geht mir durch den Kopf, als durchaus verlockende Alternative. Wieso soll ich ein Superrandonée angehen, wenn ich es nicht komplett fahren kann? Was in aller Welt treibt mich bei dieser Hitze, den heißesten Tagen des Jahres 2015 durch Schwarzwald, Jura und Vogesen? Muss man wirklich versuchen, sportliche Herausforderungen immer weiter zu toppen? Warum gerade ich?

„Ihr seid alle Mörder! Jawohl, Mörder!“ Das berühmte Zitat der Tour de France geht mir durch den Kopf. Keine Ahnung von wem es stammt (Octave Lapize, 1910, am Col d' Aubisque), aber ich weiß genau, wen er eigentlich damit meinte. Ich schimpfe auf den Streckenplaner, der dieses Kleinod gefunden hat. Dumm nur, dass der gerade an mir vorbei gehechelt ist. Nur um mir zu beweisen, dass dieser Anstieg doch fahrbar ist. Auf die Frage, ob das so weiter geht, meinte der nur: „lass dich überraschen!“

Aber wie so oft stellt sich die Alternative einer Heimreise per Zug als noch größerer Umstand dar. Wo bin ich hier eigentlich? Wo ist der nächste Bahnhof? Wo soll ich schlafen, bis der Zug am nächsten Morgen fährt? Will ich so verschwitzt und übermüdet im Zug sitzen? Nicht wirklich.

Natürlich kann ich auch Urban die Tour nicht alleine fertig fahren lassen. Zusammen gestartet, zusammen ankommen! Fahr ich den Mist also zu Ende, wenn's denn sein muss. Unter Protest! Aber oben angekommen, sitzt eben dieser Urban schon ausgeruht in der Sonne, freut sich und futtert Nüsse. Immer noch high von La Goule. Dem Highlight. Und erklärt mir, dass die Tour eben nicht ein Versuch ist, durch die Vorgabe einer möglichst großen Zahl an Höhenmetern alle Aspiranten zum Schieben zu zwingen. Der landschaftliche Reiz, das Erleben der Strecke stehe im Vordergrund. Wo ginge das besser als auf den vielen einsamen Straßen, den Schluchten, Wäldern und Bergen des Schwarzwald, Jura, Vogesen? Dann ist es schließlich noch die Verbindung aller Belchen in einer Tour, die ja schon den Kelten als Kultstätte und Kalender gedient haben.

Er hat mich! Es packt mich wieder! Wir fahren weiter, wird schon gehen.

Beim Weiterfahren erfahre ich dann, dass wohl nicht alle Randonneure La Goule fahren. Als ich daheim meine Tour auf strava hochlade folgt die Bestätigung: ich bin Achter der Bestenliste! Mit knapp 4 km/h! Ich entdecke andere Namen hartgesottenster Randonneure, die alle anscheinend mit der gleichen „Fahrtechnik“ unterwegs waren.

Das Belchen-System umfasst fünf Berge mit dem Namen Belchen im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz, das schon den Kelten als Sonnenkalender gedient haben könnte.

Das Zentrum des Belchen-Systems befindet sich auf dem südlichsten Berg der Vogesen, dem Elsässer Belchen (1247 Meter). Genau in östlicher Richtung befindet sich der 73 Kilometer entfernte Schwarzwälder Belchen (1414 Meter), (..) über dem somit die Sonne an den Tagen der Tagundnachtgleiche aufgeht, also am Frühlingsanfang und am Herbstanfang. (..)

Zur Sommersonnenwende geht die Sonne vom Elsässer Belchen aus gesehen über dem 27 Kilometer nordöstlich gelegenen, geringfügig höheren Kleinen Belchen (1272 Meter) und zur Wintersonnenwende über dem 88 Kilometer entfernten südöstlich gelegenen Schweizer Belchen (1099 Meter) auf. Somit können vom Elsässer Belchen aus die Anfänge aller vier astronomischen Jahreszeiten bestimmt werden.(Wikipedia)

Grand Ballon! Die Sonne brennt. Wir sind gerade vom schattigen Col de Page ins Tal gebrettert. Die Hitze dort bringt uns um. Es sind nur 10, vielleicht 15 km bis zum nächsten Anstieg, auf dem wir der Saharahitze wieder entfliehen können. Aber auf dem Parkplatz des Supermarktes, auf dem wir uns noch einmal mit Getränken eindecken, steht die Luft. Das sind mindestens 50°, es brennt auf der Haut, Schweißtropfen trocknen sofort ab. Mein Sonnenschutz mit LSF30 arbeitet auf Hochtouren. Selbst ein paar Stunden später, am Abend am Petit Ballon, wird sich der Asphalt noch von der Straße lösen und klebrig an unsere schmalen Pneus haften. Also noch einmal Getränke aufgefüllt, zwei Flaschen Cola zusätzlich in die Trikots gestopft und los geht’s. Nur weg hier.

Mit „La Goule zwei“ meint Urban mich aufmuntern zu müssen, als sich die erste Rampe zeigt. Die die Homepage des ARA-Breisgau meint nur lapidar: Wir gönnen uns die Direttissima in seiner steilen Westflanke“. Urban behauptet auch standhaft, der Ausspruch „Nach dem Jura wird’s einfach, die Vogesen sind nicht wirklich schlimm“ wäre während der Vorbesprechung im Augustiner nie gefallen. Ich behaupte weiterhin das Gegenteil. Aber zumindest was das Streckenprofil betrifft, muss ich ihm recht geben. Selbst Quäldich spricht von der „anspruchsvollsten Auffahrt, die man in den Vogesen finden kann“, von steilen Rampen und einer „bösen Geraden“, irgendwo auf dem Weg nach Geishouse.

Belchen satt Ingbert LeHautduThem
Le Haut du Them: Letztes Frühstück vor den Vogesen


Belchen satt Ingbert Servance
Anfahrt zum Col de Servance


Aber jetzt läuft es. Morgens um 7:00 hatten wir uns noch ein klassisches, französisches Randonneursfrühstück in Le Haut du Them genehmigt mit Croissant, Pain au Chocolat, Cola und zur Krönung ein Joghurt. Danach ging es nur noch auf und ab. Col de Servance auf einem Anstieg, der schon im unteren Teil die besten Randonneurinnen zur Verzweiflung trieb. Ballon d'Alsace, auf dem ich mich angesichts der carbonhaltigen Umgebung in Gelassenheit übe. Was zuhause ein ausgewachsener Albanstieg wäre, schrumpft hier zu einer kleinen Welle, die einem eben auf dem Weg zum nächsten Ballon im Weg liegt. Aber schon seit dem Ballon der Servance trete ich die Anstiege locker, großteils stehend, hinauf. Nachdem ich mit meinem Mitradler meine Bergtechnik besprochen habe, wurde diese für das Superbrevet körnerschonend optimiert und funktioniert im roten Bereich nun so: Ein Tritt, dann warten bis kurz vor dem Umfallen. Nächster Tritt und wieder warten. Nächster Tritt und so weiter und weiter. Bloß nicht schneller werden. Der längste Anstieg des Super Randonées zum Grand Ballon wird genommen. Selbst die lange Kotzrampe vor der Auberge Haag ist mit der neuen Technik machbar, 2 km lang mit irgendwas im zweistelligen Prozentbereich. Genau will ich es gar nicht wissen. Hauptsache schneller als laufen. Oben, aus dem Wald heraus, rufen mir französische Wanderer ein paar Worte zu. Mein Französisch ist zu schlecht, um es zu verstehen, aber es klingt aufmunternd und deswegen interpretiere ich es als „Gleich oben“. Es wird flacher, das Passschild ist tatsächlich bald erreicht.

Belchen satt Ingbert Petit Ballon
Finale am kleinen Belchen

Das Beste: ES ist geschafft. Die Sorge nicht durchzukommen, fällt spätestens am großen Belchen ab. Der letzte „kleine“ Ballon und die folgenden Wellen mit lächerlichen 1000 hm werden uns nicht mehr aufhalten.

Superrandonées sind Brevets, die über 600 Kilometer und mindestens 10.000 Höhenmeter führen. Sie werden nur als permanente Strecke angeboten. Man kann sie in einer Brevet oder Touristik Option fahren. In der Brevet Option stehen einem dafür 50h zur Verfügung, plus weitere Zeit (1h) für jeweils 500 hm über dem Mindestmaß. Aufgrund des herausfordernden Profils sollte man gut trainiert sein, auf Langstrecken erfahren, Anstiege lieben und mit widrigen Bedingungen umgehen können. „Super Randonnées will lead you over famous as well as lesser known passes and summits, presenting you with amazing scenery. You will discover the beauty of mountains at unusual hours like dusk, dawn or even at night. All Randonneurs or Tourists will keep unforgettable memories of their ride.“

Belchen satt Ingbert Gueberschwihr
Geschafft! Nur noch 50 hm (Streckenchef Urban Hilpert)

Gueberschwihr
. Grandioses Finale! Nach Col de Firstplan inklusive Gegenanstieg zum Col de Hundsplan rollt man gemütlich aus den Vogesen heraus. Wie im Amphitheater öffnet sich der Wald, die Rheinebene liegt vor einem. Zwei Oleanderbüsche stehen hier dekorativ, als wollte man uns festlich begrüßen. Gegenüber, über der flimmernden Hitze des Tals erheben sich Schauinsland und Belchen in der Abendsonne. Kaum zu glauben, dass wir da waren, nicht mal zwei Tage ist es her.

Noch 60 flache Kilometer durch die Hitze und die aufgeheizten Ortschaften. Langsam geht die Sonne unter. An einer auf arktische Temperaturen gekühlten Tankstelle noch ein letzter Zwischenstopp für ein noch kälteres Radler. Dann sind wir da. Zufrieden. Satt!

Zurück in Freiburg kommentiert der Kellner unsere Bestellung „ Je ein Radler und ein Hefe“ mit einem „Ihr wart heute wohl sportlich unterwegs?“ „Ja!“

Die Daten zu Belchen satt - Super Randonnée
Länge: 616 km
Höhendifferenz: ca. 12000 Hm
Maximalzeit: 54 h
Streckeninfo bei ARA Breisgau